„Are you ready to be liberated
On this sad side city street?
Well, the birds have been freed from their cages
I got freedom and my youth“
The Distillers, The Young Crazed Peeling

Eine meiner tollsten Freundinnen heißt Nancy und ist schon die Hälfte ihres Lebens als Veranstalterin, Bookerin, Stagehand, Personalplanerin für Festivals, Vereinsvorsitzende und stabile Person in Meck Pomm, Berlin und Hamburg am Machen.
Begegnet sind wir uns vor mehr als 15 Jahren im Proberaum ihrer Band, sie spielte damals Gitarre und ich hing bloß dort rum und war froh, es für ein paar Abende aus meinem Kaff mit 5000 Leuten, von denen zeitweise fast jede_r Fünfte NPD wählte, in die Weltstadt Ludwigslust geschafft zu haben. Mit zwar ähnlicher Fascho-Quote, aber da gab es immerhin einen Asia-Imbiss, Jannys Eis und den Plaza Großmarkt. Und Proberäume! Oasen im Kleinen, jenseits der AZs in den anderthalb Stunden Regional“express“ entfernten Metropolen. In „Lulu“ gingen die Tage bis zum Schulabschluss schneller vorbei. Auch wenn der Bus von der Schule über sämtliche Dörfer Südwestmecklenburgs rollte und immer ne geschlagene Stunde für nicht mal 30 Kilometer brauchte.
Nancy und ich freundeten uns an. Sie fing gerade an, ein Festival zu organisieren, ich baute mit ein paar Leuten antifaschistische Infotische auf Konzerten wie dem kleinen brandenburgischen Festival „Rock im Moor“ auf. 2008 stieß ich dann zum „Burning Summer“ Festival in Ludwigslust dazu, das Nancy, Lukasz, Biene und viele andere organisierten. Den Start hatte das Festival als Hybrid aus Punk- und Techno-Veranstaltung gemacht. Der Rest ist (unsere) Geschichte. (Die ihr ausführlicher auch im Text „Lange Zeit“ hinter dem Interview nachlesen könnt. Der erschien 2018, anlässlich eines endlich in Loitz stattfindenden Konzertes, zuerst beim Plastic Bomb).

Einige Jahre luden wir vier, dann drei, dann irgendwann zwei von Loikaemie über Schlepphoden bis Itchy Poopzkid jede Band ein, die wir auf die Ludwigsluster Acker (Rennbahn) holen wollten, ohne Rücksicht auf Szene-Standards. „Crossover“ fanden wir schön. Nur edler Punk ging nicht, alle nichtnazimäßigen Geschmäcker sollten bedient werden und kulturell auch mal was geboten bekommen. Es war und ist halt keine reine Zeckengegend. Es war und ist halt nicht die KTV/_____ (urbanes Szeneviertel mit schön vielen Clubs einfügen).

Wir organisierten ab 2006, als die NPD es in den Landtag MV schaffte, verstärkt Konzerte in umliegenden Kleinstädten, taten uns mit antifaschistischen und subkulturellen Leuten anderer Kultur- und Politstrukturen zusammen, holten für Schulprojekte Vereine aus Berlin ran, versuchten selbst ein bisschen Struktur zu schaffen. Gründeten bald einen Verein, im Dezember 2009, vor über elf Jahren, nach einem langen Abend im Peter Weiss Haus.
Ohne Nancy und viele andere, die sich hier auch angesprochen wissen sollen, hätte es all das nie gegeben. Wie viel aber vor allem sie im Laufe der Jahre gerissen hat und wo überall, wird hoffentlich im Interview deutlich.
Ein Gespräch mit Erinnerungen ans Force Attack, Fragen zu Nancys Mitarbeit bei Rock gegen Rechts Stralle, Jamel rockt den Förster, Muttis Booking… und auch an uns zwei selbst.
<3.
Kadda
Nancy, erinnerst du dich noch an das erste Konzert, das du veranstaltet hast?
Ich weiß nicht mehr so viel vom 1. Konzert selbst. Es war 2004 als ich zum Orgateam der Konzertreihe „Rock deine Meinung“ beigetreten bin. Ich war 16 Jahre und hatte null Ahnung wie man sowas organisiert und durchführt. Was ich selber dann beim Konzert für Aufgaben hatte, ist leider aus meinen Erinnerungen komplett gelöscht. Das einzige woran ich mich erinnere ist, dass bei dem Konzert Ludwigsuster Nazis vor der Stadthalle Stress gemacht hatten und 2 Sixer von den Bullen kommen mussten, damit wir alle sicher nach Hause kommen. Guter Einstieg in die politische Kulturarbeit was? 😀
Was liebst du am Veranstalten und was daran war/ist immer lästiges Übel für dich?
Viele von uns lieben es, weil man dann coole Bands und Personen persönlich treffen kann, aber für mich spielt das meistens gar keine Rolle. Sind auch nur Menschen wie du und ich. Ich persönlich liebe es einfach, zusammen mit anderen Leuten ein gemeinsames Ziel zu verfolgen und mit Leidenschaft bestmöglich umzusetzen, was man sich so für Spinnereien ausgedacht hat. Als Veranstalterin erfüllt mich ein „volles Haus“, glückliche Besucher und ein glückliches Team. Lästiges Übel für mich ist an erster Stelle definitiv Projektanträge beantragen und abrechnen. Und auch die Veranstaltung abbauen, nachdem man gefühlt 72 Stunden wach war und die Hälfte der geplanten Helfer nicht da ist, weil irgendeine Oma dritten Grades Geburtstag hat oder der Fisch krank ist.

Welche(s) war rückblickend deine liebste eigene Veranstaltung?
Meine liebste Veranstaltung war, wie du dir sicher denken kannst, das Burning Summer Festival. Aus dem Grunde, weil ich es mit meinen liebsten Menschen von Tag eins an entwickelt und organisiert habe. Desweiteren weil ich daran am meisten persönlich gewachsen bin und dieses Projekt ausschlaggebend für meinen jetzigen Lebensweg ist. Besonders gerne, denke ich an das Jahr 2012 zurück. Da hat alles gestimmt. Wir hatten ein super Line Up, das Team war top in Form und tiefenentspannt, es gab keine größeren Probleme, wir hatten eine Menge Fun, schönes Wetter und die höchste Besucherzahl (über 1.200) überhaupt. Nur du hast gefehlt.
Unser Verein in Ludwigslust musste schließlich die Segel streichen. Bis zum Schluss hast du als Letzte die Stellung gehalten. Wie kam es zur Auflösung, wie lief das ab? Wie geht’s dir damit?
Noch lässt es sich offiziell nicht ganz in der Vergangenheitsform sagen, ein allerletzter kleiner formaler Schritt fehlt. Wir sind aber schon länger in der Auflösungsphase – Verträge gekündigt, Dinge mit dem Finanzamt geklärt und das Materiallager aufgelöst. Im Prinzip kam es zur Auflösung, weil ich bei der letzten Vorstandswahl verkündet hatte, dass ich mich nicht zur Neuwahl aufstellen werde und dann war für alle klar, dass wir wohl den TOP „Auflösung des Vereins“ aufnehmen müssen. Der Weg diese Entscheidung für mich zu treffen war natürlich nicht von heute auf morgen. Dieser Prozess hat ca. 1,5 Jahre gedauert. Ich habe immer versucht die Bande zusammen zu halten nachdem du weg warst, Anke gestorben ist und zuletzt Lukasz gegangen ist. Aber ich bin daran gescheitert. Es ist nicht einfach, wenn man selbst nicht mehr vor Ort in Ludwigslust ist. Es erfordert zudem viel mehr Zeit, und diese konnte und wollte ich irgendwann nicht mehr aufbringen, weil ich auch merkte, dass das Feuer bei vielen von uns auch irgendwie erloschen war. Ich musste das Kapitel schließen, um mich auf meine berufliche Zukunft zu konzentrieren. Trotzdem war diese Entscheidung für mich sehr schwer, weil der Verein und die Projekte für mich jahrelang an erster Stelle standen, ich sehr viel damit verbinde und mich natürlich darüber auch definiert habe. Aber man muss nach vorne schauen und ich bin ja trotzdem noch etwas aktiv, was die Kulturarbeit in MV betrifft.

Welche Highlights aus unserer Vereinszeit fallen dir ein?
Hahaha… Die Vereinsgründung! PWH Rostock, viel Pfeffi, noch mehr Pfeffi, und viel zu wenig Schlaf. Wie verrückt wir waren, total verkatert, übermüdet und ungeduscht den Verein zu gründen. Ich kann bis heute keinen Pfeffi mehr trinken, sonst muss ich würgen. 😀 Natürlich gab es in jedem einzelnen Vereinsjahr tolle Highlights, aber dann würde ich noch übermorgen hier in die Tasten hauen.

Eine Zeit hast du in Hamburg als Stage-Hand (= Helfer_in beim Bühnenaufbau) gearbeitet und damals berichtet, wie mies einige Kollegen mit dir als Frau umgingen. Welche typischen Verhaltensweisen haben dich genervt?
Den Umgang würde ich jetzt nicht als mies bezeichnen, das wäre zu hart in meinen Augen. Da ich schon immer eher einen männlichen Freundeskreis hatte, bin ich wohl auch gut abgehärtet. 😉 Aber ich hatte schon hin und wieder das Gefühl von einigen Kollegen nicht ernst oder für voll genommen zu werden. Klar, hier und da musste ich mir auch grenzwertige Bemerkungen oder Witze anhören, die ich meistens einfach ignoriert habe. Die andere Seite der Medaille ist aber auch, dass es einige Kollegen gab, die es total cool fanden mit mir zusammen zu arbeiten und mich nicht wegen meines Geschlechts vorverurteilten oder meinten den Macker zu spielen. Es ist und bleibt wohl überwiegend eine Männer-Domäne, aber ich fand es cool für 2 Jahre dabei zu sein. Aus heutiger Sicht bin ich froh, dass ich dann doch einen etwas anderen Weg eigeschlagen habe, denn Bühnenbauen ist schon krass anstrengend und mit 40 würde ich das auch nicht mehr machen wollen.

Zwei Jahre hast du bei Muttis Booking gearbeitet. Wie sah deine alltägliche Arbeit aus, wie oft musstest du die „schöne“ deutsche Mehrwertsteuer erklären und vermisst du das Booking?
Bei einer Punkrock-Agentur zu arbeiten klingt erstmal nach einer Menge Spass, aber natürlich ist es nicht zu 100% so. Hauptsächlich war ich für die Vorproduktion zuständig: Absprachen mit Promotern, Tourbücher erstellen, Flüge buchen, Plakate packen, Verträge vorbereiten etc.. Also ein normaler Bürojob, abgesehen von den coolsten Kollegen, die ich sehr vermisse. Italiener und das Verständnis für die Mehrwertsteuer… das passt nicht so zusammen. Katja und ich haben öfter mal die Augen gerollt, wenn dieses Problem schon wieder im Raum stand. Aber auch das natürlich immer professionell gelöst. 😉
Trotz wechselnder Wohn/Arbeitsorte in Brandenburg, Berlin und Hamburg bist du immer in Meck Pomm aktiv geblieben. Warum ist dir das wichtig?
Auch wenn ich bis heute das Gefühl habe, es ist immer wieder ein Kampf gegen kleine Windmühlen, sei es aus bürokratischer, organisatorischer oder politischer Sicht, ist und bleibt es trotzdem meine Heimat. Die größte Zeit meiner Jugend habe ich damit verbracht mich aktiv für mehr Kultur und Toleranz in ganz MV engagiert, um es zu einem besseren Ort für mich und meinem Umfeld zu machen und nicht die Augen zu verschließen. Vielleicht kehre ich irgendwann dahin zurück und dann möchte ich nicht in einer Stadt leben, wo gefühlt jeder 3te Anwohner rechtsextremes Gedankengut vertritt. Ich denke so geht es vielen, auch vielen MecklenburgerInnen, die jetzt dort leben. Nur zusehen und hoffen, dass die Braune Sch**** von alleine weggeht, geht nicht. Deshalb bin ich immer noch aktiv in MV!
Mittlerweile verbringst du einen großen Teil deiner Zeit mit Studieren, du hast dich auf dem 2. Bildungsweg dazu entschlossen. Wie ist das Unileben im Vergleich zum Veranstalten und Booking von Punkkonzerten?

Vieles ist sehr theoretisch und ich Leute die mich kennen wissen, dass ich es bevorzuge Dinge eher praktisch anzugehen. Anderseits bekomme ich viel Input, was Marketing betrifft, was ich sonst nicht bekommen hätte. Ich wusste, dass ich meine Aktivitäten als Veranstalterin für diese Zeit etwas zurückfahren muss, und das ist völlig okay.
Wenn ich an unsere Schichten beim Force Attack denke, fällt mir ein, wie wir a) diesen Strommast auf dem Feld bewacht haben, damit keine_r hochklettert und verschmort, und du dich b) einmal mit nem Feuerlöscher vor 40 Amateur-PyrotechnikerInnen gestellt und eiskalt deren Flammen weggesprüht hast. Die hätten am liebsten (gut brennbares) Kleinholz aus dir gemacht. Den Rest hab ich verdrängt, ergänzt du bitte ein paar Highlights?
Hahaha… Oh Gott, ja das war ein spannendes Erlebnis. Zwei Sachen fallen mir spontan ein. In der einen Nacht hatte der große Müllcontainer (80 m³) gebrannt. Wir sind dann mit paar Leuten von unserem Sammelpunkt dahin gerannt und das eine Mädel stand mit einem Feuerlöscher in der Hand da und wollte die Flammen löschen. Ich konnte nur den Kopf schütteln. Dann war da noch dieser eine Typ, der uns immer am Sammelpunkt total besoffen genervt hat. Am letzten Morgen haben wir sein Auto, welches genau gegenüberstand, mit allem was wir gefunden hatten (Müllsäcke, Klopapier, Kinderpool etc.) zugemüllt. Danach fühlte ich mich besser.
Welches ist heute dein liebstes Konzert-Projekt in Meck-Pomm?
Da ich mittlerweile meinen Fokus aufs Studium lege, bleibt für mich die Auswahl an Projekten, bei denen ich selbst aktiv bin, sehr klein. Einige Jahre habe ich das Projekt/Festival „Jamel rockt den Förster“ supportet. Ich liebe einfach Festivals, und es ist grandios ein Festival für Toleranz und Vielfalt mitten in einem kleinen Dorf zu veranstalten. Ein Dorf mit 40 Anwohnern, von denen 95% ganz klar Rechtsextreme sind! Jamel war wie eine einzigartige Gartenparty mit 1.300 Gästen, die allesamt Nazis kacke finden. Da musste ich einfach dabei sein.

Wenn die (wieder vereinigten) Distillers und Courtney Love am gleichen Tag ein Konzert spielen, wo gehst du (mal utopisch gedacht, gäbe es wieder Veranstaltungen) hin, wie lange hast du für die Entscheidung gebraucht und aus welchem Grund deine Wahl getroffen?
Ganz klar! The Distillers. Das war eine Entscheidung von Millisekunden. Brody Dalle habe ich solo schon 2 Mal in Berlin gesehen, aber The Distillers leider noch nie. Nach ihrer Auflösung 2004 habe ich nicht mehr daran geglaubt, sie noch live sehen zu können. Aber nun sind sie wieder da und in den USA für paar Konzerte und Festivals getourt. Ich sitze also auf heißen Kohlen und sehne den Tag entgegen, wo sie endlich nach Europa kommen.
Hast du nach all den Jahren noch eine Frage an mich, wenn ja welche?
Wenn du geglaubt hast, nach so vielen Fragen an mich, ohne Gegenfragen davon zu kommen, hast du dich geirrt, Schnegge. 😉
1. Glaubst du, es war richtig oder gut so, dass wir für ein paar Jahre getrennte Wege gegangen sind?
Richtig oder gut: nein. Aber leider notwendig. Die Dauerpendelei fast jede Woche zwischen Niedersachsen und Meck Pomm, das Ausbalancieren mit Studium und Jobs, kaum Raum oder Zeit um runterzukommen, DIY-Arbeitsethos und Selbstausbeutung… Ich erinnere mich, wie ich kurze Zeit nach dem abrupten Ausstieg nach Ewigkeiten mal wieder zum Friseur gegangen bin. In dem banalen Moment fiel mir auf, wie lange immer Energie für andere Sachen da gewesen waren, ich es aber nicht geschafft hatte, mich auch mal abzugrenzen und selbst auch mal was für mich zu machen, wie ne Frisur.

Was auch reinspielte, dass wir in jungem Alter mit der Vereinsgründung extrem viel finanzielle Verantwortung übernommen haben. Der Gedanke „Wenn was schief geht“ schwebte damals irgendwie immer über mir, und es wäre richtig heftig geworden in ner Zeit, in der man sich kaum ein Wohnklo mit Küche leisten kann.
2. Wann lassen wir uns endlich unser gemeinsames Vogel-Tattoo stechen? (Ja, ich hab´s nicht vergessen.)
Oh ja, das Vogel-Tattoo! Lass uns das ausdiskutieren wie in alten Zeiten, haha, wenn du das Interview gelesen hast, ja? Hatten wir uns schon auf einen bestimmten Vogeltyp geeinigt? (außer keine Krähen, die sind dir ja ungeheuer, obwohl ich die ja sehr stark finde)
3. Wenn du einen Wunsch frei hättest, was würdest du dir wünschen? (Sich zu wünschen, dass man unendlich Wünsche hat, zählt nicht!) Ich verrate dir meinen Wunsch: Ich würde mir wünschen, dass Anke noch leben würde. Sie hätte sich sicher sehr gefreut, dass wir beide wieder zueinander gefunden haben und wir unzertrennlich sind! Ihr Kommentar dazu wäre sicherlich: „Ich wusste doch, dass ihr auf kurz oder lang nicht ohne einander könnt. Kaffee?“.
Ich (Kadda) war sehr gerührt, als ich das las. Hätte fast geheult. Spontan fallen mir zwei Wünsche ein. Der erste: Auch zu Ankes Beerdigung gehen und deine Hand drücken.
Zweitens: Die Gegend um Ludwigslust auch heute nicht den Faschos überlassen, die wir jahrelang zumindest auf den Konzerten zurückdrängen konnten. Das Vereinsende bestürzt mich immer noch. Habe Monate zwischendrin auch nicht nicht gerallt, wie ernst die Lage ist. Als du mehrfach eine Fördermitgliedschaft angesprochen hast und erwähntest, dass Leute sich zurückziehen. Den Druck, der alleine auf deinen Schultern lastete, habe ich unterschätzt.
Mein Traum ist immer noch, da ein ländliches Zentrum für politische Bildung und Jugendkultur aufzubauen oder entstehen zu sehen, wie den Demokratiebahnhof in Anklam – zum Beispiel in einem der vielen verfallenden leerstehenden Bahnhofsgebäude… Gerade in einer so garstigen Gegend, wo jede Zecke nach der Schule sofort abhaut und es immer nur noch übler wird. Wo seit Jahrzehnten (bald einem Jahrhundert!) Alltagsfaschismus, Missgunst und kulturelle Ödnis herrschen. Man hofft immer, die arschigen Leute kratzen einfach ab und dann wird’s gut. Es wachsen aber neue nach, die Luft brennt wie früher und AfD-Plakate haben die der NPD abgelöst.
Fürs erste würde ich mir wieder ein Konzert oder eine Aktion mit dir wünschen. Igrendwann, wenn es passt. Und danke für deine tollen Gegenfragen!

Januar 2021
Lange Zeit
Überall Nazinester, wir mittendrin. Wir organisierten oft Konzerte, unsere Veranstaltungen wurden geduldet und fügten dem Erscheinungsbild „Dorffascho-Jugend“ über die Jahre allmählich ein paar angezeckte Leute hinzu. Wir gingen in Dörfer und Kleinstädte. Hauten einen Flyer raus, auf dem Udo Pastörs auf nem Schwein gegen Windmühlen reitet, nachdem die NPD 2006 in den Landtag MV eingezogen war. Hatten ein „Nazisparschwein“, in dem Spenden gesammelt wurden. Fütterten die Großstadt-Schutz-Antifas noch jahrelang mit Bockwürsten und Toast durch, weil wir schöne Dorfkids waren. Immerhin hatten wir nun Schutz, ganz am Anfang verdroschen einmal Fascho-Freunde unserer „Security“ Konzertbesucher_innen. Ein kurzer Tiefpunkt.
Ende 2009 gründeten wir, am Tag nach einem feuchtfröhlichen Distemper-Konzert in Rostock, einen Verein und ärgerten die Faschos dann noch ein paar Jahre. Holten Jennifer Rostock, Supershirt und die 11-köpfige Band Oranžās Brīvdienas aus Lettland auf den Ludwigsluster Acker (letztere waren 3 Tage zu früh mit 18 Leuten angereist, eine Freude für jede Veranstalterin), holten auch lokale junge Bands zum Festival und in die Ludwigsluster Stadthalle. Stritten auf dem Festival mit den Bullen, als sie uns nachts bei Talco die Anlage abdrehen wollten. Stritten uns selbst. Alle paar Monate Technik, Tresen, Kühlschränke, Bockwurstkocher und nen Kilometer Molton in die Stadthalle hängen/stellen, einen Tag Konzert veranstalten und sonntags alles wieder rausreißen – gelegentlich schlauchte das, auch wenn es viel Energie zurückgab. Dazu das Festival, Schulworkshops mit cultures interactive, andere schöne Zusammenarbeiten.
Manche erinnern sich vielleicht auch. Ne bewegende Zeit.
2009 veranstalteten wir zwei Konzerte unter anderem mit der Fischband alias FSF oder damals häufiger auch noch „FesaFiFi“ in Ludwigslust. Eins war ein „Bandcontest“, im Mai. Die Kohle gabs zum Großteil von der örtlichen Sparkasse, bei der wir oft Klinken putzten. Das andere fand im Juli geheim statt, als Aftershowparty auf dem Burning Summer Festival.
Niemand wusste, dass die Band spielen würde, bis auf uns – und ein paar Faschos, die hatten auch Wind davon bekommen. Sie kamen dann auch zum Festival, Altermedia hatte uns auf die Sommerroute der „besuchenswerten“, also anzugreifenden Veranstalten gesetzt, und brüllten ein paar Dicken-Beleidigungen durch den Zaun. Weiter kamen sie nicht, mehr erreichten sie nicht. Richtig harte Lappen. Wie kleine Regentropfen prallten sie vom Festival ab.
Später an dem Abend spielten Loikaemie „Good Night White Pride“ auf unserer Bühne. Eine wunderbare Genugtuung, den Song den Nasen vor die Fresse zu servieren, während sie draußen wahrscheinlich immer noch irgendwo keiften.
Eine Woche nach dem Festival zogen wir mit Leuten in Boizenburg das „Tinnitus statt Faschismus“-Festival auf, wo FSF auch wieder spielten und uns unterstützten. Im Vorfeld hatte der Staatsschutz Einschüchterungsbesuche bei Organisator_innen gemacht, Autoreifen waren zerstochen worden. Der Bürgermeister blieb stabil und supportete uns, während Anwohner_innen ein z.T. so hysterisches Bild von unserer „Zecken-Invasion“ zeichneten, dass sie Unterschriften gegen die Veranstaltung sammelten, bis zum Schluss die Verlegung des Ortes forderten und einige echt die Schaufenster ihrer Geschäfte mit Brettern vernagelten. Kein Quatsch. Wir ließen uns nicht abbringen. Das Konzert fand statt, und viele weitere folgten.