
Mobina Galore haben mich durch 2020 gebracht, ihr Song „Escape Plan“ ist meine persönliche Pandemie-wegsteck-Hymne geworden. Ich kann aber gar nicht mehr sagen, welches Lied und welches der Alben des Punkrock-Duos aus Winnipeg mich als Erstes weggeblasen hat. Ist es eigentlich irgendwie zu fassen, dass nur z w e i Leute so einen druckvollen Sound vom Allerfeinsten fabrizieren? Gut, zweimal Gesang plus Drums, Bass und Gitarre, das klingt schon angemessener. Aber ich vermute immer noch, Marcia Hanson und Jenna Priestner frühstücken mehr als andere Menschen, machen zusätzlich Krafttraining oder haben sehr schwere Haustiere, die sie regelmäßig hochheben, um als Band-Duo so zu klingen.
Vorhang auf für Mobina Galore, das sind Marcia am Schlagzeug/Gesang und Jenna an Gitarre, Bass und auch Gesang. Die meisten Fragen hat Jenna beantwortet, sogar die eine misstrauische zu dem Gewicht ihrer Haustiere.
Glückwunsch, ihr feiert zehntes Bandjubiläum! Hat euch irgendwer ne Torte gebacken, zum Beispiel eines euer Labels, und wie habt ihr beide das Bandbestehen gefeiert?
Dieses Jahr markiert unser 10-jähriges Bestehen als Band, was ziemlich wild ist, wenn man mal darüber nachdenkt. Leider wurden keine Kuchen für uns gebacken, haha. Unsere erste Tour war im Sommer 2011, also fühlt es sich so an, als würden wir diesen Sommer darauf zurückblicken, wo wir damals vor 10 Jahren waren. Wir sind dankbar für alle, die uns auf diesem Ritt begleitet haben! Eine Sache, womit wir das feiern, ist, zwei Songs live im Studio aufzunehmen, um sie im Mai zu veröffentlichen.
Euer voriges Album hieß „Feeling Disconnected“ (2017). Wer war eigentlich das coole kleine Mädchen auf dem Cover – eine Verwandte, Bekannte oder einfach irgendein nicht näher bekanntes, aber saucooles Kind? Sie ziert ja auch eines eurer Shirts.

Das Mädchen auf dem Cover von „Feeling Disconnected“ ist unsere Nichte Lilija. Sie war damals etwa 4 Jahre alt und ich bin mir ziemlich sicher, dass wir ihr eine Art Lizenzgebühr für die Verwendung ihres Gesichts zahlen sollten, aber das haben wir nicht. Sie hat auch eines unserer Shirts entworfen und wir haben versucht, ihr 100 Dollar dafür zu zahlen, aber sie sagte, das sei zu viel und wollte nur 5 Dollar, weil das auch ihr Alter war, also haben wir ein ziemlich gutes Geschäft gemacht, haha.
Euer aktuelles Album „Don’t Worry“ (2019) klingt etwas beschwingter, fröhlicher und der Titel trägt diese Stimmung ja auch schon viel mit. Nicht nur „Escape Plan“ ist eine Hymne (das geht schon beim ersten Lied „I want it all“ los und hört dann ja gar nicht mehr auf). Beim Musikvideo musste ich aber ein bisschen lachen, wie ihr da auf euren Bikes eher ganz entspannt durch die Gegend rollt, während einem euer melodischer Punrock nur so um die Ohren ballert. Wohin kann man von Winnipeg aus hin dem Alltag am besten entfliehen und was geht euch so mächtig auf den Geist, das ihr davon auch mal Abstand braucht?
Wir leben in einer ziemlich coolen Nachbarschaft hier in Winnipeg, was es einfach macht, mit dem Fahrrad von zu Hause zu vielen Radwegen und Flusspfaden zu „fliehen“. Wir sind nicht zu abenteuerliche Bikerinnen, aber es macht super viel Spaß, einfach herumzufahren und sich die Sonne auf den Pelz scheinen zu lassen! Ich selbst brauche das, meinem mentalen Zustand zu entfliehen, wenn es schwer wird oder auch wenig Inspiration da ist, entweder weil ich zu viel arbeite oder in diesen Tagen ein bisschen gelangweilt und unruhig bin. Ich muss mindestens einmal am Tag aus dem Haus, um einen klaren Kopf zu bekommen, und da ich seit kurzem eine Hündin habe, hilft mir das sehr.
Neben euch kennen Punkrock-Hörer_innen vielleicht noch Propaghandi aus eurer „Homebase“ Winnipeg. Wie lange seid ihr schon in der Stadt mit ca. 750.000 Leuten und wie ist es dort (bzw. war es vor 2020), Musik zu machen, gibt es gute Infrastrukturen? Habt ihr schon alle Clubs zwanzigmal durchgespielt und kaum jemand kommt noch, oder tretet ihr immer noch regelmäßig vor Ort auf (prä Pandemie)?

Musik in Winnipeg zu spielen ist fantastisch, es gibt so viele Bands in dieser Stadt, die viele Genres abdecken, aber speziell die lokale Punkszene ist immer sehr lebendig. Wir wurden in der Szene mit offenen Armen empfangen, als wir 2012 hierher zogen und spielten bei jeder Gelegenheit, die sich uns bot, aber in den letzten Jahren mussten wir bei unseren lokalen Shows strategischer vorgehen, weil, wie du schon sagtest, die Leute das Interesse verlieren. Wir versuchen, ein paar Mal im Jahr lokale Auftritte spielen und dann vielleicht einen Support-Slot hier und da.
Das Thema Weglaufen (oder fahren) habe ich auf euren beiden letzten Alben herausgehört, aber auch das Verarbeiten eigener Verlusterfahrungen und Erinnerungen, und allgemein die Haltung, einen Umgang mit den Dingen im Leben zu finden. Wenn ihr als Musiker_innen auf das letzte Jahrzehnt zurückblickt, wann gab es solche Momente?
Da wir seit über zehn Jahren eine Band und auch eine Beziehung haben, können wir mit Sicherheit sagen, dass wir viel zusammen durchgemacht haben; Gutes und Schlechtes, persönlich und bandbezogen. Scheiße passiert, wenn du es nicht erwartest, was es oft schwer macht, damit umzugehen. Zum Beispiel ist meine Oma gestorben, als wir vor ein paar Jahren auf Tour waren, und es gab ein Hin und Her mit meinem Vater, einen ganzen Tag lang, nur um herauszufinden, ob es Sinn macht, dass ich eine Show absage und zu ihrer Beerdigung nach Hause komme oder nicht. Am Ende wollte mein Vater, dass ich weitermache wie bisher, also habe ich den Text von „Oh, Irene“ eingesprochen und sie haben ihn bei der Beerdigung gespielt, so war ich auf eine kleine Weise dabei. Das war ein harter Moment und ich glaube nicht, dass wir den Song an dem Abend gespielt haben.
Thema Punkrock-Sozialisation. In meiner Jugend habe ich als Erstes viele US-Bands gehört (Bad Religion, Pennywise, Jimmy Eat World zähl ich mit ihrem Poppunk von der „Bleed American“ Platte dazu, auch wenn eigentlich nur der eine Song abging :D). In Deutschland gibt es dann noch ein Genre namens Deutschpunk, das lässt sich schwer wörtlich ins Englische übersetzen, aber das ist quasi das Sub-Genre, in dem es viel um Hausbesetzung und die radikale Linke geht. Als Kind vom Land war mir das aber immer viel zu dicht vor der Haustür, Punk war ein bisschen das akustische Tor zur Welt. Habt ihr in eurer Jugend auch eher nach Punk in der Ferne geschielt, oder war das viel Kram aus Kanada und den Staaten?

Klingt so, als hätten wir einen ähnlichen Musikhintergrund. Im Grunde genommen ging es von BSB auch bei mir zu Pennywise und Jimmy Eat World, haha. Mein Bruder hat mich zum Punkrock gebracht, als ich ungefähr 12 war, also hörte ich viele der amerikanischen So-Cal Bands (PSW: kurz für Southern California), die in den 90ern groß waren, wie Bad Religion, Ten Foot Pole und Pennywise, aber zur gleichen Zeit entdeckte ich Blink-182 und das war sowas wie meine erste eigene Entdeckung. Und Saves the Day, die waren auch wichtig für mich. Ich hörte auch viel Fat Wreck- und Epitaph-Zeug, aber von da an ging es um die Emotion des Songs und ich habe nicht wirklich darüber nachgedacht, woher eine Band kam oder was ihre Politik war, ich habe einfach nur den Songs zugehört. Als ich in der Highschool war, wurde ich mehr „Punk“ oder zumindest dachte ich, dass ich das sein wollte, ich färbte mir die Haare schwarz, machte ein paar Nieten auf eine Jacke und dachte, ich wäre cool. Wir gingen zu tonnenweise lokalen All-Age-Shows und da entdeckte ich zum ersten Mal diese Art von „Underground“-Genre, das du erwähnt hast, und es sprach mich an. Streetpunk, Oi und so, es gab damals eine Menge toller Punkbands in Edmonton! Ich höre mir das heute nicht mehr so oft an, aber ich glaube, es hat mich als Musikerin und Musikhörerin geprägt..
Marcia, ich habe gelesen, dass du viele Instrumente wie Klavier, Ukulele, Gitarre und natürlich Schlagzeug gelernt hast. Warum sind es für dich die drums bei MG geworden?

Schlagzeug schien immer Spaß zu machen. Ich fand Gefallen an der Idee eine Band zu gründen und mein Vater sagte immer, dass Bands immer Schlagzeuger_innen und Bassist_innen brauchen, alle wollen Gitarre spielen. Also besorgte ich mir ein Schlagzeug und lernte die Grundlagen, und hier bin ich Jahre später in einer Band – und spiele immer noch die Basics 😉
Jenna, wie kamst du zur Gitarre oder sie zu dir?
Ich habe mit 12 Jahren angefangen, Gitarre zu spielen, weil ich keine Lust mehr auf Klavierunterricht hatte. Aber meine Mutter sagte, ich müsse ein Instrument spielen, also wählte ich Gitarre, weil mein Bruder das schon lernte und eine hatte. Ich habe ziemlich schnell aufgeholt, ich habe vielleicht ein Jahr lang wöchentlich Unterricht genommen und einen Haufen Theorie und all das gelernt, aber ich kann mich im Grunde an nichts davon erinnern! Das macht aber nichts, ich spiele einfach, was mir einfällt, und ich liebe es.

Das kann ich so gut nachempfinden, irgendwann im Keyboardunterricht habe ich meine Lehrerin lieber gebeten, meinen Wellensittich zu malen als mir das weiter beizubringen. Habt ihr eigentlich von Anfang an auch beide gesungen, oder wie kam es dazu? Und was denkt ihr, macht es im Bandgefüge, vocals und instrument zu kombinieren, und zwar nicht nur einmal, sondern gleich doppelt? Die räumliche Aufteilung, auch bedingt durch die Instrumente, konstruiert ja trotzdem so etwas wie front und back, aber keinen Leadgesang oder –instrument in der Form mehr zu haben stell ich mir schon etwas „demokratischer“ vor.
Ich war schon immer Leadsängerin der Band und ich bin mir nicht sicher, ob Marcia anfangs singen wollte oder nicht. Um ehrlich zu sein, denke ich, es ist so gekommen, weil sie eine großartige Sängerin ist und großartig in den Harmonien. Keine von uns beiden ist ausgebildete Sängerin, ich wusste nur, dass ich in der Lage sein wollte zu schreien, also hat sich das über die Jahre entwickelt – wie man auf unserem ersten Album ‚Cities Away‘ hören kann, mein Schrei war nicht da, wo er jetzt ist. Wir lieben beide aber auch Harmonien als Gesangstechnik, also je mehr Sänger_innnen, desto besser!
Was auf das erste Hören klingt wie Konflikte in sozialen Beziehungen (die ja auch meist nicht nur sozial, sondern politisch sein sind), ist aber manchmal auch die Verarbeitung komischer Erfahrungen als weibliche Musikschaffende. „Bad Love Song“ von eurem ersten Album ist so ein Lied. Da singt ihr von Satellite Radio nachdem ihr einen Sender mal gefragt hattet, warum sie euch nicht spielen, und sie dort meinten, sie hätten genug „female fronted“ im Airplay. Wie kam es zu der Frage-Situation?

Ich hatte einen „Radio-Tracker“ eingestellt, der im Grunde versucht, deine Musik bei Radiosendern zu platzieren, und er richtete mir diesen Kommentar von Sirius XM aus, „es gibt bereits zwei andere weibliche Bands, die wir spielen, da würden sie in direkter Konkurrenz stehen…“ Das hat mich so wütend gemacht. Warum müssen wir gegeneinandergestellt werden? Sie spielen ungefähr 100 männliche Bands und 2 weibliche, und das reicht für ihren Schnitt, denn ihre Hörer wollen Vertrautes. Diese Scheiße macht mich wütend und ich glaube nicht, dass sich das in nächster Zeit ändern wird. College-Radios sind aber großartig, weil sie spielen, was immer sie wollen, aber davon kannst du als Musikerin nicht leben wie beim kommerziellen Radio und hast auch nicht die Hörer_innenschaft.
Es sieht eher nach einem zweiten Sommer mit viel Zeit zu Hause aus – habt ihr i r g e n d welche Pläne, soweit nach denen in Pandemiezeiten gefragt werden kann? In einem anderen Interview kam es so rüber, dass ihr den letzten Sommer abseits aller Gesundheitssorgen auch ein bisschen genießen konntet, gerade weil mal Pause war.
Der Sommer in Winnipeg ist der beste überhaupt! Das sage ich heute am 12. April, wo gerade ein Schneesturm herrscht, haha, aber im Mai/Juni ist das Leben toll! Ich genieße es sehr zu wissen, dass wir noch einen weiteren Sommer hier sein werden, weil wir Pläne machen können, und mit Plänen meine ich Pläne, um lustige Abenteuer in der Stadt zu erleben und in unserem schönen Garten herumzuhantieren und Golf zu spielen und ein paar Körbe zu werfen und einfach zu entspannen. Es ist ziemlich cool.
Bitte füll(t) fast zum Schluss folgende Frage aus: Bevor ich das erste Mal mein Instrument gespielt habe, habe ich folgende Bands und Acts gehört:
Saves the Day, Blink-182, No Doubt, Jewel, Cher, Bruce Springsteen, Bob Dylan, und es war auch absolut die Ära der Spice Girls, Backstreet Boys, NSync und all des Pop, den wir liebten, haha, no shame.
Ganz aktuell gehen wir auf in der Musik von:
Taylor Swift (wir lieben immer noch unseren Pop!), Lana Del Rey, wir hören eine Menge Americana/Folk-Musik wie Brandi Carlile, Courtney Marie Andrews, Sarah Harmer, Jason Isbell. Für Punkrock lieben wir unsere lokalen Kumpels von The Ripperz und Clipwing, ich liebe Touche Amore und The Bouncing Souls und The Menzingers … jede Menge Zeug!
Vielen Dank euch, passt auf euch auf und produziert weiter Platten! ❤
